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Exotische Gipfelstürmer – Neobiota im Aufstieg?

Blog von: Josef Rottensteiner

Die Alpen ziehen jährlich Millionen von BesucherInnen an und manche davon bleiben sogar dauerhaft – darunter nicht nur Menschen. Die Auswirkungen der globalen Mobilität und des stark vernetzten Handels sind zunehmend auch in der Artenzusammensetzung unserer Lebensräume zu sehen, die aufgrund sogenannter biologischer Invasionen immer mehr Zuwachs bekommen. Auch wenn dies in Österreich bisher hauptsächlich die niederen Lagen betrifft, kann in Zukunft auch in den Bergen vermehrt mit solchen sogenannten Neobiota gerechnet werden. Vielleicht haben Sie auf Ihren Wanderungen auch schon das eine oder andere Exemplar getroffen. Aber sind diese Neobiota überhaupt ein Problem? 

Was genau sind Neobiota und wie breiten sie sich aus?

Neobiota (sg.: Neobiont) sind Pflanzen, Pilze, Tiere oder Mikroorganismen, die vom Menschen in neue Regionen eingebracht werden, die sie aus eigener Kraft nicht besiedeln können. Während ein großer Teil der Neobiota sich in der neuen Umgebung nicht halten kann und bald wieder verschwindet, schafft es ein Teil sich dauerhaft in der Natur zu etablieren und wird somit ein Bestandteil der dortigen Artengemeinschaft. Während diese menschengemachte Veränderung von Artengemeinschaften bis weit in die Geschichte zurück reicht, markiert die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus mit dem Jahr 1492 einen wichtigen historischen Zeitpunkt, ab dem von Neobiota gesprochen wird. Durch den seitdem massiv gestiegenen weltweiten Austausch von Waren, Menschen und Arten fanden auch zahlreiche Arten absichtlich (z.B. als Zierpflanzen und Nutztiere) und unabsichtlich (z.B. als Saatgutverunreinigung oder blinde Passagiere) ihren Weg in ferne Regionen. Mit zunehmender Intensität des globalen Warenverkehrs und fortschreitender Globalisierung stieg die Verschleppung von Neobiota vor allem in den letzten Jahrzehnten stark an und es gibt bislang keine Anzeichen einer Verringerung dieses Trends. 

Invasive gebietsfremde Arten und deren Folgen

Manche etablierte Arten fühlen sich in ihrer neuen Umgebung so wohl, dass sie sich – oft nach einer unauffälligen Anlaufphase - stark ausbreiten, vielmals mit negativen Folgen für die Biodiversität, Wirtschaft und auch menschliche Gesundheit. Die Auswirkungen dieser sogenannten invasiven Arten reichen von der Verdrängung und Ausrottung heimischer Arten, der Veränderung von Ökosystemprozessen und Ökosystemdienstleistungen bis hin zu Ertragsverlusten in der Land- und Forstwirtschaft, und gesundheitlichen Implikationen (etwa durch Allergien). Die Folgekosten von invasiven Arten sind beträchtlich und werden allein in Europa auf ca. 12,5 Mrd. Euro jährlich geschätzt (Stand 2008). Kürzlich wurden invasive Arten auch als einer der fünf wichtigen Treiber des Verlustes der globalen Biodiversität anerkannt. Seit 2015 verpflichten sich alle EU-Mitgliedsstaaten zur Prävention und dem Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver Neobiota von unionsweiter Bedeutung (derzeit 66 gelistete Tier- und Pflanzenarten). 

Neobiota in Österreich

Auch wenn die bekanntesten Beispiele für biologische Invasionen oft in der Ferne zu finden sind, wie etwa Kaninchen in Australien, dem Nilbarsch im Viktoriasee oder Wanderratten und Katzen auf ozeanischen Inseln, findet man auch vor unserer eigenen Haustüre genug Neobiota. In Österreich gibt es über 2,500 gebietsfremde Arten, was in etwa einem Anteil von 4% der Gesamtartenzahl Österreichs ausmacht. Davon sind etwa 1,600 Pflanzenarten (Neophyten), rund 650 Tierarten (Neozoen) und 335 Pilzarten (Neomyzeten) registriert. Einige Beispiele für problematische Neobiota in Österreich sind etwa die Robinie, der Götterbaum, die Beißfußblättrige Ambrosie (Ragweed), der Japanische Staudenknöterich, der Signalkrebs, der Asiatische Marienkäfer, der Buchsbaumzünsler oder das Falsche Weiße Stengelbecherchen (ein Pilz, verantwortlich für das Eschentriebsterben). Dabei fällt auf, dass sich die meisten gebietsfremden Arten im Tiefland tummeln, generell gilt umso höher oben umso weniger Neobiota. Wieso ist das so?

Neobiota und das Gebirge

Sowohl die Eigenschaften einer Art wie auch die Eigenschaften eines Lebensraumes bestimmen maßgeblich, ob sich eine Art in einem neuen Gebiet etablieren kann. Gebirge stellen aufgrund ihrer starken klimatischen und ökologischen Gradienten extreme Lebensräume dar, die von vielen Arten nur schwer bis gar nicht besiedelt werden können. Sie können als natürliche klimatische Barrieren gesehen werden, die die Ausbreitung der meisten Neobiota verlangsamen oder verhindern. Zusätzlich ist im Vergleich zum flacheren Umland der menschliche Nutzungsdruck in den meisten Gebirgen relativ gering. Dies führt erstens zu einem geringeren Besiedlungs- und Ausbreitungsdruck (d.h. Neobiota werden weniger häufig eingeschleppt und haben somit weniger Gelegenheiten sich zu etablieren) und zweitens zu tendenziell weniger gestörten Lebensräumen, welche widerstandsfähiger gegenüber biologischen Invasionen sind, als naturferne und störungsbelastete Lebensräume. 
Der Großteil der Neobiota der Gebirge sind anpassungsfähige Generalisten, die erst in tieferen Lagen eingeschleppt werden und sich dann entlang von Korridoren in höhere Lagen ausbreiten. Solche Korridore sind etwa Straßen, Wanderwege aber auch Fließgewässer. Samen und Sporen können zum Beispiel an Reifen, Arbeitsgeräten, Schuhen oder Kleidung haftend aus anderen Gebirgs- oder Tieflandregionen verschleppt werden. Daneben können Neobiota auch absichtlich in Gebirge gelangen zum Beispiel über Saatgutmischungen für Straßenränder oder Skipisten, sowie als Zierpflanzen in Ferieneinrichtungen oder durch Fischbesatz in natürlicherweise fischfreien alpinen Seen.

Neobiota in den Alpen – Ein Problem der Zukunft?

In den Alpen spielte die Einwanderung von Neobiota lange nur eine untergeordnete Rolle. Die meisten Neobiota im Alpenraum befinden sich in klimatisch begünstigten Bereichen, etwa in Tallagen oder den Südalpen, sowie in Gebieten mit starkem menschlichem Einfluss, zum Beispiel in Siedlungsnähe oder in (stark frequentierten) Ski- und Wanderregionen. In einer schweizerischen Feldstudie wurden jedoch von insgesamt 155 Neophyten, nur 50 Arten über 1,500 m und nur mehr 10 Arten ab 2,000 m Seehöhe beobachtet. Von den wenigen bekannten Neobiota, die bis in die alpinen Lagen der Gebirge vordringen, sind der Großteil Pflanzen. Dabei handelt es sich entweder um Generalisten, die auch im Tiefland vorkommen oder um verwilderte Zierpflanzen etwa aus Alpengärten. Oft kommen Neobiota hier in geringerer Dichte vor und auch die Anzahl an invasiven Arten ist niedrig. Invasive Arten können aber durchaus auch in Gebirgen zum Problem werden, etwa wenn Lebensräume durch den Menschen gestört werden. Obwohl problematische Invasionen bis jetzt vor allem aus Tieflagen bekannt sind, wird in Zukunft der Druck durch Neobiota im Alpenraum zunehmen. 
Neben menschlicher Nutzung wird insbesondere der Klimawandel eine wichtige Rolle spielen. Viele jetzt schon in den Tieflagen vorkommende Neobiota zählen zu den Gewinnern des Klimawandels, die sich laut Modellstudien mit steigenden Temperaturen weiter nach oben ausbreiten werden. Sie können besser auf ein sich änderndes Klima reagieren als spezialisierte Gebirgsarten und sind oft konkurrenzstärker. In der Folge haben die Artengemeinschaften im Gebirge nicht nur mit zunehmendem Klimastress, dem Verlust von geeignetem Lebensraum und einheimischen Arten, die ihr Verbreitungsgebiet nach oben verlagern zu kämpfen, sondern auch mit Neobiota. Heute noch unproblematische Neobiota können in naher Zukunft und unter veränderten Klimabedingungen invasiv werden. 
Infobox: Eine Auswahl an Neobiota, die derzeit im Alpenraum zu finden sind, sowie Informationen zu ihrem derzeitigen Status im Alpenraum (unbeständig, etabliert oder invasiv), ihrer Herkunft, dem Einbringungspfad, der oberen Vorkommensgrenze im Alpenraum und bekannten Auswirkungen.


 

Maßnahmen, Forschung und Citizen Science

Um auf entstehende Probleme reagieren zu können, sollte die zukünftige Entwicklung von Neobiota im Gebirge genau im Auge behalten werden. Biologische Invasionen sind ein komplexes Phänomen und es ist nicht leicht generelle Aussagen zum Invasionserfolg zu treffen. Nach dem Vorsorgeprinzip ist das Monitoring und die frühzeitige Erkennung von biologischen Invasionen die kostengünstigste und effektivste Handlungsoption. Zusätzlich bildet wissenschaftliche Forschung zu biologischen Invasionen im Gebirge die Grundlage für effiziente und erfolgreiche Naturschutzmaßnahmen und für die Priorisierung von besonders kritischen Arten. Die globale Forschungsinitiative MIREN (Mountain Invasion Research Network) untersucht zum Beispiel Pflanzeninvasionen in Gebirgen und führt seit 2005 regelmäßig Erhebungen an ausgewählten Standorten entlang von Straßen und Wegen in den Alpen und anderen Gebirgsregionen weltweit durch. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist es, das Problembewusstsein bei wichtigen Akteuren und in der Bevölkerung zu verbessern und über Mechanismen und eventuelle Konsequenzen von biologischen Invasionen zu informieren. 
Es kann aber auch jede und jeder selbst aktiv werden: Bei der eigenen Gartengestaltung oder der Wahl des Vogelfutters können zum Beispiel unbedenkliche standorttypische Alternativen vorgezogen werden. Auch kann die fachgerechte Entsorgung von Pflanzenabfällen unabsichtlichen Verschleppungen vorgreifen. Anhand von Citizen Science können interessierte Personen nicht nur einen wertvollen Beitrag zur Forschung leisten, sondern auch gleichzeitig das eigene Wissen vergrößern. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe an Artbestimmungsapps, die eine schnelle Identifikation per Foto noch direkt vor Ort ermöglichen. Bekannte Apps sind zum Beispiel „PlantNet“, „Seek von iNaturalist“ oder „Flora Incognita“. Egal ob teure Spiegelreflexkamera oder Smartphone – jede und jeder der draußen unterwegs ist und gerne Naturfotos schießt, kann diese Fotos auch mit GPS-Koordinaten versehen auf Online-Plattformen oder Apps hochladen (z.B. „iNaturalist.org“, „naturbeobachtung.at“, „naturgucker.de“, oder „infospecies.ch“). Diese Verbreitungsnachweise können dann verifiziert und in wissenschaftlichen Projekten weiterverwendet werden. Dadurch erhalten wir ein immer besseres Verständnis über die Verbreitung von heimischen und eingeschleppten Arten im Gebirge und neue Vorkommen von Neobiota können schneller erfasst werden. Speziell für den Alpenraum gibt es auch „Vielfalt bewegt!“  - ein Citizen Science-Projekt des Österreichischen Alpenvereins, dass den Wissensstand zur Verbreitung von 20 heimischen Tier- und Pflanzenarten oberhalb der Baumgrenze zu verbessern versucht (https://vielfaltbewegt.alpenverein.at/ bzw. App: "Vielfalt bewegt! Alpenverein") Wer weiß, vielleicht stellt sich ja auf der nächsten Wanderung die eine oder andere interessante Art als Neobiont heraus?

 

 

Quellen:

Websites:

 

Literatur:

  • Beenken & Senn-Irlet (2016) Neomyceten in der Schweiz. Stand des Wissens und Abschätzung des Schadpotentials der mit Pflanzen assoziierten gebietsfremden Pilze. WSL Ber. 50:93. ISSN 2296-3456
  • Essl & Rabitsch (2002) Neobiota in Österreich. Umweltbundesamt, Wien, 432pp..
  • EU Commission (2014) Regulation (EU) No 1143/2014 of the European Parliament and of the Council of 22 October 2014 on the prevention and management of the introduction and spread of invasive alien species. http://data.europa.eu/eli/reg/2014/143/oj 
  • Haider & Küffer (2011) Pflanzeninvasionen in Gebirgen. In: Landschaftsökologie : Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Laufener Spezialbeiträge. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege, Laufen, 105–110.
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  • Kettunen et al. (2008) Technical support to EU strategy on invasive species (IAS) - Assessment of the impacts of IAS in Europe and the EU (final module report for the European Commission). Institute for European Environmental Policy (IEEP), Brussels, Belgium: 44 pp. + Annexes.
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  • Nehring (2016): Invasive Arten profitieren vom Klimawandel. In: Warnsignal Klima: Die Biodiversität (Ed.: Lozán. et al.). Verlag Wissenschaftliche Auswertungen in Kooperation mit GEO Magazin-Hamburg. https://doi.org/10.25592/warnsignal. klima.die-biodiversitaet.27
  • Nehring et al. (2010) Schwarze Liste invasiver Arten: Kriteriensystem und Schwarze Listen invasiver Fische für Deutschland und für Österreich. BfN-Skripten vol. 285
  • Paradiso et al. (2019) From Africa to the Alps: risk assessment on an invasion by Cacyreus marshalli (Butler, 1898). J. Insect Conserv. 23, 279–288
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  • Riegler-Hager, Scheuer & Zwetko (2003) Der Erlen-Rost Melampsoridium hiratsukanum in Österreich. Wulfenia 10, 135–143
  • Schertler, Essl & Lenzner (2020) Kapitel 5.8: Klimawandel und biologische Invasionen im Hochgebirge. in Warnsignal Klima: Hochgebirge im Wandel (Ed.: Lozán et al.) 257–263, Verlag Wissenschaftliche Auswertungen in Kooperation mit GEO Magazin-Hamburg.  http://doi.org/10.25592/uhhfdm.9319

 

Autoren:
Schertler Anna, Lenzner Bernd, Essl Franz
BioInvasions. Global Change. Macroecology-Arbeitsgruppe, Department für Botanik und Biodiversitätsforschung, Universität Wien