Psst! Kraxeln im verbotenen Wald
Wie Diebe schleichen Hans und ich am Haus vorbei. Von Jägern sollten wir hier nicht gesehen werden. Flüsternd diskutieren wir über den möglichen Einstieg.
Ein magisches Zeichen scheint uns den Weg zu weisen. Gekreuzte Äste, das könnte den Routenbeginn andeuten. Ich komme mir vor wie ein Darsteller im „Blair Witch Project“, dem Horrorfilm vor vielen Jahren, wo einer Gruppe Amerikanischer Studenten im Wald das Fürchten gelehrt wird. Wird es weitere Zeichen geben, die uns den Weg weisen? Wir sind topo-los unterwegs, auch mit der Absicht, den Weg selbst zu bestimmen. Felsbildungen und Gehstrecken werden einander abwechseln. Nun klettern wir über den ersten Grat. Da die Route eine leichte Kraxelei sein sollte, haben wir nur ein kurzes Seil und ein paar Standbandschlingen mitgenommen. Gleich der erste Grataufschwung lockt mich an die Kante zu klettern. Ich muss mich aber selbst zurückpfeifen, da Bruch und null Sicherungsmöglichkeit der Sache eine zu ernste Note geben. Die Idee kann ein andermal realisiert werden.
Föhrenwald, alte knorrige Bäume, weißgraue Felsen, Schuttpassagen mit Bockerlkugellager und Föhrennadelgleitmittel. Aber insgesamt nicht störend. Da es aus verständlichen Gründen (Stichwort „Jäger“) zu diesem Anstieg keine Beschreibung gibt, fühlen wir uns um 100 Jahre zeitversetzt, wie Kletterer der ersten Stunde, als das Auskundschaften einer leichten Route noch Abenteuer war. Auch wenn es nur auf einem unbedeutenden Waldhügel in der Nähe von Wien erfolgt.
In unserem Eifer übersehen wir dabei auch das Steigbuch (das gibt es aber schon, anscheinend besteht auch hier Meldepflicht). Es ist ein Ort voller Widersprüche. Obwohl eine stark befahrene Straße direkt unter uns liegt, fühlen wir uns alleine, sozusagen bergeinsam am Straßenrand. Aber vielleicht liegt es gerade an diesem Verkehrsweg und dem Mangel an Wanderwegen, dass hier eine Art Freiraum entstanden ist. Daher akzeptiere ich auch den LKW Tinitus, das Brummrauschen vorbeifahrender Fahrzeuge. Wir aber sind geräuschlos. Es gibt keine Seilkommandos. Sparsam gesetzte Steinmännchen und das gelegentliche diskrete rote Pünktchen bestätigen unseren Routensinn. Aber die Lust unseren eigenen Weg zu finden bleibt aufrecht, immer wieder entdecken wir neue Klettervarianten, die mangels Sicherungsmöglichkeiten (außer über Bäume), uns mit der alpinen Gefahr kokettieren lassen. Unser Sicherungsstil ist also maximal „mobil“. Und das Steigen auf dem maiwarmen Fels die Erfüllung unserer Wintersehnsucht. Harz klebt auf meinen Fingern. Sonne und Föhren spielen Schattenspiele, werfen dunkle Konturen auf den bleichen Kalk. Die sanfte grüngraue Welt wird im Tagesverlauf zunehmend härter, ausgeprägter, schwarzweiß. Gegenüber am Hang unter uns die klassische Bildidylle - ein Kirchlein inmitten bewaldeter Berge.
Die Gehpassagen nehmen zu. Weiter nun weglos hinauf, steil, lang und mühevoll. Ein langer Abstieg steht uns bevor - hätten wir doch vorher die Landkarte studiert! Forstwege, Traktorspuren, schuttbedeckte Wiesen und zum Schluss sozusagen dann durch Nachbars Garten.
Insgesamt ein kleiner alpiner Regelverstoß also. Auf einer geheimen Route im verbotenen Wald Spuren unserer Vorgänger suchen und einen eigenen Weg finden. In aller Stille, abseits des alpinen Mainstreams. Wie damals, als Klettern noch nicht cool war und die Kletterer Freaks jenseits aller gesellschaftlichen Norme.
James Skone
No Topo – Eigene Wege gehen.
James G. Skone setzt sich mit der Welt des Kletterns und Bergsteigens aus einer persönlichen kreativen und gestalterischen Perspektive auseinander. Im Blog reflektiert er in unkonventioneller Form über wie es einmal war und was ihn heute am Klettern interessiert. Einblicke in sein Skizzenbuch und Bildkollagen ergänzen die Ausführungen.
James G. Skone war in den frühen 1970er Jahren Impulsgeber beim Freiklettern und erschloss die ersten Eiskletterrouten in Österreich. Auch bei der Entwicklung neuer Geräte für das Klettern war er Pionier. Er erfand die Vorläufer heutiger Hallenkletterwände, die so genannten „Skone Stones“, Der von ihm entworfene Kletterschuhe „Super Magic“ erhielt 1984 den Österreichischen Designstaatspreis. Vor kurzem wurde dieser in die Sammlung des Museums für angewandte Kunst, Wien aufgenommen. James war zuletzt Univ. Prof. für Designpädagogik an der Universität für angewandte Kunst Wien.
Er begann 1958 mit neun Jahren mit dem Bergsteigen bei der Gruppe „Unsere Jüngsten“ bei der Edelweiß. In späteren Jahren kehrte er mit dem Beitritt der „Wiener Lehrer“ - deren Mitglied er später war - zur Edelweiß wieder zu seinen alpinen Wurzeln zurück.