Snow Mountain Man – Ein Wiener Bergtriathlon
„Wenn i so ausschau wie der, dann her i zum Bergsteigen auf!“ überhörte ich den Wanderer seiner Frau zuflüstern, als ich an ihnen vorbeischlurfte. Laufen konnte man das nicht mehr nennen, was ich beim Baumgartnerhaus am Schneeberg simulierte. Ich konnte ihm das auch gar nicht übel nehmen. Ich war müde, hatte einen Tiefpunkt, war schon ca. acht Stunden unterwegs und wollte es unter zehn Stunden schaffen. Das Projekt: Einmal um das Wiener Gänsehäufl schwimmen, mit dem Rad über Schwechat und Rannersdorf einen großen Bogen um Wien machen und nach Puchberg am Schneeberg fahren. Von dort laufend an den Schienen der Zahnradbahn hinauf zur Bergstation und weiter zum Schneeberggipfel, sprich Fischerhütte. Eine Art Triathlon - Berglauf. Ein Snow Mountain Man als Abwandlung zum Iron Man. Ein selbst bestimmtes Ziel verfolgen, ohne Wettkampf mit anderen.
Die Distanz war natürlich nicht mit einem Iron Man zu vergleichbar, dafür machte der Höhenunterschied (ca. 2000m insgesamt mit all den Zwischensteigungen im „Radsplit“, wie es im Triathlon heißt) vieles wieder wett. Also: ca. 2,5 km Schwimmen, ca. 90-100km am Rad und ca. 10km Laufen (mehr oder weniger). Beim Iron Man bewältigt man dabei doch 3,8 Schwimmen, 180km Rad und 42km Laufen. Im Vorjahr 1997 hatte ich meinen ersten Triathlon über diese Distanz in Podersdorf bewältigt. Nun wollte ich einmal etwas anderes erleben, da kam mir die Idee mit dem Privattriathlon.
6. September 1998. Es war ein nasskalter Septembertag. Schneefall war auf ca. 2000m angesagt. Ich fuhr zeitig am Morgen zum Gänsehäufl und fand eine Zugangsstelle zum Wasser unter der Brücke, die zum Inselbad führt. Der Neoprenanzug hielt mich warm, vorerst zumindest. Als nicht besonders guter Schwimmer ist mein Kraulstil nicht sehr ökonomisch und ich brauche lang. Alleine zu schwimmen ist an einem warmen Sommertag ein Vergnügen, doch im trüben, vorherbstlich kalten Wasser eher energieraubend, physisch, wie mental. So zog ich an den verwaisten Stränden vorbei, die Sperrtonnen wiesen mir den Weg bis zum nächsten Schilfgürtel. Immer wieder galt es Zonen mit Schlingpflanzen zu durchschwimmen, eine nervtötende Rauferei mit der krakenähnlichen Vegetation. Da war noch der sprichwörtliche Weg mehr als das Ziel. Das Ziel, der Schneeberggipfel hätte genauso im Himalaya stehen können, so fernab erschien es mir. Noch eine scheinbare Utopie. Ich war im Triathlonmodus, Bergsteigen ein anderes Programm.
Endlich hatte die öde Planscherei ein Ende. Das Gänsehäufl war umrundet. Raus aus dem klammen Neoprenanzug. Mir war saukalt. Zitternd versuchte ich mich im Auto mit heißem Tee fit zu machen für die kommenden Stunden am Rad. Dazu brauchte ich zwanzig Minuten. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen rasch, wie sonst auch in der Wechselzone die Kleidung zu wechseln und „hop-, hop-, hopauf“ aufs Rad zu springen und loszustrampeln. (Nein, eher zu versuchen nicht gleich auf der anderen Seite runter zu fallen, da der Gleichgewichtssinn nach dem Schwimmen oft durcheinander ist). Jetzt aber zog ich mir alles an, was ich finden konnte, ich wollte beim Radfahren nicht auskühlen und es ging los. Krista sollte das Auto später holen. Die Orientierung war mir auch nicht klar, ich musste mir den Weg teilweise noch suchen. Damals hatte ich noch kein GPS Gerät. Die Idee war es, nur auf Nebenstraßen zu fahren. Ich hatte mächtigen Respekt vor Hauptverkehrsstraßen und den LKWs. Die wollte ich vermeiden. In der Ebene verlief die Strecke über Schwechat, Achau, Trumau nach Piesting. Nun folgte eine „Bergwertung“, die ich unterschätzt hatte, nämlich hinauf nach Dreistetten. Dort angekommen war ich total leer. Zu wenig getrunken, zu wenig gegessen. Das Schöne an so einer Individualaufgabe ist aber, dass es dabei ja nicht um Minuten geht, sondern nur um ein selbst gestecktes Ziel. Dem einzigen, den ich Rechenschaft schuldig bin, bin ich selbst. Nun leistete ich mir ein kurze Pause und versuchte dem Körper die nötigen Kohlehydrate zu geben, indem ich eine Bäckerei aufsuchte. Diesmal wollte ich mich nicht mit den grauslichen Powergels und sonstigen nach Chemie schmeckendem, klebrigen Zeug ernähren. Nun war mein Ziel in eine erreichbare Dimension gerückt. Ich war weg von der Stadt, in den Bergen und hatte meine Identität gewechselt. War von einem Triathleten zu einem Bergsteiger geworden. Es war wie die Rückkehr in ein anderes, früheres Leben. Außerdem war die Sonne durchgekommen, die Stimmung war freundlicher geworden. Jedoch die Bergwertung am Rad war noch nicht zu Ende. Hinauf ging es nach Stollhof und weiter, immer auf und ab über Zweiersdorf nach Grünbach. Der Anstieg zum Grünbacher Sattel gab mir fast den Rest. Ich hatte ihn sehr unterschätzt, da ich hier vorher noch nie mit dem Rad unterwegs war.
Aber zur Einstimmung zum Laufen kam dann die herrliche Abfahrt nach Puchberg.
Einmal nicht treten müssen, kurz nur. Ab nun nur mehr Laufen, Gehen. So wie beim Iron Man. Die letzten der 180km am Rad freut man sich schon aufs Laufen. Die Strecke ist zwar ein Marathon, aber endlich ist eine andere Bewegung gefragt, das Rad zwingt einen doch zu einer starren Haltung.
Das Rad und die Kleidung beim Bahnhof deponiert. Mir war warm geworden. Ich zog meine kurze Laufhose und Laufleibchen an. Zur Sicherheit noch eine dünne Windjacke umgebunden und nun ging es langsamen Laufschrittes Richtung Hengstsattel. Sehr zu meinem Erstaunen - es lief. Langsam zwar, aber ich konnte richtig laufen.
Nun war ich in meinem Metier. Ich wusste, dass ich es noch innerhalb der mir selbst vorgenommenen Zeit schaffen konnte. All die früheren 100km und 24Stunden Läufe gaben mir die Sicherheit, dass Fortbewegung auf zwei Beinen auch unter extremster Müdigkeit möglich ist, solange man sich nicht verletzt hat und die Schmerzen unerträglich sind. Aber auch da hilft der, vom Körper durch die Ausdauerleistung selbst produzierte Drogencocktail, vieles zu ertragen. So weit war ich noch nicht. Der Weg neben der Zahnradbahn ist meist flach genug, um lange im Laufschritt zu verbleiben. Steilere Abschnitte ging ich. Nun wurde ich doch müde. Beim Baumgartnerhaus sollte ich noch etwas trinken. Ich musste schon ziemlich grau ausgesehen haben, als ich den zuvor genannten Wanderern begegnet bin. Auf dem von dort hinauf führenden, steilen, latschenumrankten Weg zur Bergstation war vom Laufen nicht zu reden. Zumindest nicht für mich. Schnelles Gehen trieb den Puls schon auf maximale Höhe. Elisabethkirchlein, Bergstation, es war wieder kalt geworden, ein eisiger Wind pfiff mir über die nackten Schenkel. Nun konnte ich wieder laufen. Am Damböckhaus vorbei, den letzten Aufschwung zur Fischerhütte. Es hatte zu Graupeln begonnen. Oben - endlich. +4° am Thermometer der Fischerhütte. Meine Zeiteinschätzung hatte gestimmt. Ich hatte es gerade unter 10 Stunden geschafft. (Ca. 1.15h Schwimmen, 5h Rad und ca. 2.45h Laufen, der Rest waren Wechselzeiten und die Pause in Dreistetten).
Aber ich hatte ein Problem. Die letzte Bahn fuhr in einer halben Stunde talwärts!
Also nun zum Abschluss noch mit müden Beinen ein flotter Abstieg. (Ich lief noch vom Damböckhaus zur Bergstation). Das allerletzte Problem stellte sich jedoch bei der Ankunft in Puchberg dar. Ich konnte mich nicht mehr von meinem Sitz erheben.
Meine Beine waren erstarrt. Die Muskel wie festgefroren. Vorsichtig nur und langsam nahm ich eine aufrechte Position ein. Für die letzten Fahrgäste musste mein Anblick der Inbegriff bergsteigerischer Selbstüberschätzung gewesen sein. An so einem kalten Tag so leicht bekleidet auf den Schneeberg gehen. Geschieht ihm recht! Damals waren Bergläufer in Österreich noch Exoten.
Skizze: Schneeberg (James G. Skone)
Fotos: Austria Triathlon, Iron Man Distanz, 1997 Podersdorf, (Fotos: Kristina Skone, James K. Skone), 24 Stunden Benefizlauf Wörschach 1994 (Foto: Konrath Racing Team).
James Skone
No Topo – Eigene Wege gehen.
James G. Skone setzt sich mit der Welt des Kletterns und Bergsteigens aus einer persönlichen kreativen und gestalterischen Perspektive auseinander. Im Blog reflektiert er in unkonventioneller Form über wie es einmal war und was ihn heute am Klettern interessiert. Einblicke in sein Skizzenbuch und Bildkollagen ergänzen die Ausführungen.
James G. Skone war in den frühen 1970er Jahren Impulsgeber beim Freiklettern und erschloss die ersten Eiskletterrouten in Österreich. Auch bei der Entwicklung neuer Geräte für das Klettern war er Pionier. Er erfand die Vorläufer heutiger Hallenkletterwände, die so genannten „Skone Stones“, Der von ihm entworfene Kletterschuhe „Super Magic“ erhielt 1984 den Österreichischen Designstaatspreis. Vor kurzem wurde dieser in die Sammlung des Museums für angewandte Kunst, Wien aufgenommen. James war zuletzt Univ. Prof. für Designpädagogik an der Universität für angewandte Kunst Wien.
Er begann 1958 mit neun Jahren mit dem Bergsteigen bei der Gruppe „Unsere Jüngsten“ bei der Edelweiß. In späteren Jahren kehrte er mit dem Beitritt der „Wiener Lehrer“ - deren Mitglied er später war - zur Edelweiß wieder zu seinen alpinen Wurzeln zurück.